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Gute Organisation, zusätzliche Qualifikationen und ein solides
Familienleben verhelfen niedergelassenen Medizinern noch immer zum
Erfolg
Wenn
man sich selbstständig macht, dann aus innerer Überzeugung heraus und
nicht weil man auf die Statistik schielt", sagt Martin Lang. Der
43-Jährige betreibt seit zehn Jahren eine Kinderarztpraxis in Augsburg.
Genauer gesagt: zwei Praxen. "Eine normale Kassenpraxis und
mittwochnachmittags und abends eine Homöopathiepraxis für
Privatpatienten." Der Bedarf nach Naturheilkunde und Akupunktur sei
enorm, der Zulauf "sehr hoch". Von 40 Kinderarztpraxen in Augsburg, das
mit 240 000 Einwohnern als Großstadt zählt, hätten sich gerade mal zwei
auf Homöopathie spezialisiert. Vom Geburtenrückgang hat Lang bislang
"nichts gespürt".
"Als ich die
Praxis übernahm, kamen 30 Patienten am Tag, heute sind es 140." Täglich
müsse er etwa fünf Neuzugänge abweisen. Doch der Kinderarzt ist
trotzdem nicht glücklich: "Das Budget bestraft den, der viel arbeitet."
Auch wenn es "einen Heidenspaß" mache mit den Kindern - abends
überkommen ihn Frust und Sorge. Von 140 auf 300 Quadratmeter hat er
seine Praxis in dem Jahrzehnt verdoppelt, neun Mitarbeiterinnen
eingestellt. "Alles Frauen, die selbst Kinder haben und deshalb gut für
den Job geeignet sind."
Aber um
Personalabbau komme er demnächst wohl nicht herum. "Das tut schon weh."
Seine eigene Frau arbeitet ebenfalls mit in der Praxis, gratis. Als
ehemalige Lehrerin kehrte sie nach der Familienpause - das Paar hat
drei Kinder - der Schule den Rücken und führt seitdem kostenlos
Schulreifetests durch. "Das findet sonst bei den Ämtern oder in der
Schule relativ oberflächlich statt. Meine Frau nimmt sich Zeit dafür.
Das ist ein zusätzliches Bonbon, das wir anbieten." Was rät Lang
potenziellen Nachahmern? Man müsse bereit sein, die ganze Woche zu
arbeiten, auch am Wochenende, wenn die Büroarbeit erledigt werde. Und
man müsse sich klar darüber sein, dass auf die Ärzte eine
"Fragebogenmedizin" zukomme: Die Patienten würden "nur noch abgehakt".
"Der Trend weg von der Dienstleistung hin zur Bürokratisierung wird
leider als Qualitätssteigerung verkauft", kritisiert Lang. Dabei müsste
gerade angesichts "massiver psychischer und erzieherischer Probleme bei
Kindern" mehr statt weniger Zeit investiert werden, findet er.
Immerhin: Lang ist optimistisch, dass er seine "Nische halten" kann. In
Sachen Eigen-PR kann er demnächst auch ein Buch vorweisen: Im Februar
erscheinen "100 Elternfragen. Die Gesundheit Ihres Kindes". Das hat
Lang zusammen mit einer Ratgeber-erprobten Journalistin geschrieben.
Werbung
in Form von Mund-zu-Mund-Propaganda hält auch Guido Schwalm für "das A
und O". Der 39-jährige Zahnarzt hat sich auf die in Deutschland noch
nicht sehr verbreitete, in der Schweiz und den USA aber seit langem
praktizierte Wurzelkanalbehandlung (Endodontie) spezialisiert. Dafür
habe er "extrem viel Geld" in Internetwerbung gesteckt. Er betreut
sechs Kindertagesstätten, auch das erhöht den Bekanntheitsgrad. Seit
sieben Jahren betreibt er seine Praxis in Rosbach "im Speckgürtel von
Frankfurt".
Bereits im ersten Jahr
der Praxisübernahme habe er den Umsatz verdoppelt. "Aber ich habe
Schulden. Von Heiraten, ein Haus bauen und ein Kind in die Welt setzen
kann keine Rede sein, so gern ich das auch täte." Die Kunst bestehe für
ihn darin, "bei Kassenpatienten die Bereitschaft zu erzeugen, etwas
dazuzuzahlen." Schließlich gehe die Schere zwischen dem, was einerseits
technisch und medizinisch machbar und andererseits finanziell möglich
sei, immer weiter auseinander.
Thomas
Dannecker vom Freiburger Ärzteconsulting rät, sich nur dann
selbstständig zu machen, wenn die Organisation wirklich Top ist: "Von
der Standortfrage übers Gebäude und Marketing bis hin zum
Internetauftritt muss alles stimmen. Wenn die Praxis nicht gut läuft,
liegt es meist am Arzt selbst: Einzelkämpfer mit breiter Brust, die
mittwochnachmittags gern Tennis spielen und Mercedes fahren, haben den
Zug der Zeit verpasst." Ärzte zeigten sich zudem oft
beratungsresistent: "Sie sind nicht gewohnt, sich helfen zu lassen.
Entsprechend verbreitet sind Burn-out-Syndrom und Alkoholsucht."
Viele
wirtschaftliche Probleme, über die Ärzte klagen, bezeichnet Manfred
Kirsch von der Ärzteberatung KWP Consult in Goslar als hausgemacht:
"Bei männlichen Ärzten liegt die Scheidungsrate bei 50 Prozent. Sie
haben im Schnitt mehr Kinder mit mehreren Frauen als der
Normalverdiener und müssen entsprechend viele Alimente zahlen." Ein
solides Familienleben bezeichnet Kirsch daher schon mal als "gute
Basis".
Unerlässlich seien auch
fachliche Zusatzqualifikationen, etwa Akupunktur oder Allergologie für
den Hals-Nasen-Ohren-Arzt. "Man muss zumindest die Leistungen des
Vorgängers berücksichtigen. Wenn man weniger anbietet, darf man sich
nicht wundern, wenn niemand kommt."
Ein
großes Manko sei, dass Mediziner sich zu sehr auf die
Universitätsstädte, vor allem im Süden, konzentrieren. Kirsch: "Das
Musical-Theater muss um die Ecke sein. Dabei gibt es viele Praxen auf
dem Land, die lukrativ sind, gerade in den neuen Bundesländern. Wenn
die Praxis gut aufgestellt ist, kann man da ein Schnäppchen machen."